Blumenthal. Die Schüler basteln emsig vor sich hin. Drei Mädchen gestalten gemeinsam ein T-Shirt. Drei Jungs werkeln mit Unterstützung ihrer Lehrerin an einer Weltkarte herum. Der Rest des Kurses ist damit beschäftigt, Vögel und Menschen aus Pappe in verschiedenen Größen auszuschneiden. Sie arbeiten gemeinsamen am Projekt „Zugvögel und Fluchtbewegungen“. Leiterin des Kurses ist die Nordbremer Künstlerin Bärbel Kock. Es ist nur einer von vielen Workshops, die am gemeinsamen „Schule ohne Rassismus“-Tag des Blumenthaler Schulzentrums und der Oberschule an der Egge angeboten werden.
An dem Projekttag geht es nicht nur um Rassismus, sondern um Diskriminierung im Allgemeinen. So beschäftigen sich die Schüler in den Kursen mit der Entstehung von Vorurteilen, Rassismus in Comics und sexueller Vielfältigkeit. Knapp 1200 Schüler sind dabei. „Wir finden es einfach wichtig, die Schüler für die Thematiken der Ausgrenzung und Diskriminierung in all ihren Formen zu sensibilisieren und ihnen klar zu machen, dass es auch im Alltag wichtig ist, Courage zu zeigen“, erklärt Mona Bauermeister vom Schulzentrum Blumenthal. Sie ist gemeinsam mit Fabian Ariafar von der Oberschule an der Egge für die Planung des Tages verantwortlich.
„Seit 2009 gibt es an unseren Schulen den ‚Schule ohne Rassismus‘–Tag“, sagt Ariafar. Ein gravierendes Problem mit Rassismus und Mobbing haben die Schulen zwar nicht, aber dazu solle es auch niemals kommen. „Ich denke aber schon, dass das auch hier an der Schule auftaucht. Wir haben hier eine ganz bunt gemischte Truppe. Die Schüler kommen aus über 20 Nationen. Da treten schon immer wieder Probleme auf“, verdeutlicht Mona Bauermeister. Ein größeres Problem als Diskriminierung aufgrund einer bestimmten Herkunft gebe es allerdings mit der Diskriminierung aufgrund von Religiosität oder sexueller Vielfalt.
Wir haben mit vier Schülern der gymnasialen Oberstufe über ihre persönlichen Erlebnisse mit Rassismus und Diskriminierung im Alltag und an der Schule gesprochen.
Khaled Chaabou (19 Jahre)
„Ich arbeite nebenbei als Essenslieferant. Einmal musste ich eine Bestellung nach Aumund bringen. Als ich unten an der Haustür geklingelt habe, meinte der Bewohner schon: ‚Das ist nicht meine, du Volltrottel‘. Ich habe ihm dann erklärt, dass aber sein Name auf der Bestellung steht und er mich bitte reinlassen soll, damit er es selber sehen kann. Als ich oben vor seiner Wohnung ankam und er mich gesehen hat, ist er plötzlich total ausgeflippt.
Er schrie: Verpiss dich, du scheiß Kanake. Ich habe ihm dann gesagt, dass er sich mal beruhigen soll und dass er doch bitte einfach seine Bestellung entgegennehmen soll, statt mich zu beleidigen. Irgendwann kam dann seine Frau dazu und hat sich bei mir entschuldigt. Aber der Mann hat sich einfach nicht beruhigt. Er ist wieder ein Stück näher gekommen und hatte sogar schon seine Fäuste geballt. In dem Moment dachte ich dann, okay ich muss hier raus! Ich glaube, er wollte mich die Treppe runterschubsen.
In der Schule wurde ich nur einmal von meinem Physiklehrer anders behandelt als die anderen Schüler. Ich habe mich am Unterricht beteiligt, war still und habe nicht gestört. So wie alle anderen auch, trotzdem habe ich schlechtere Noten bekommen. Aber von meinen Mitschülern wurde ich nie diskriminiert.“
Malie Labuhn (18 Jahre)
„Im Alltag begegnet mir Rassismus sehr selten wirklich offensiv. Viel mehr ist er generell in den Köpfen vieler Menschen. Oft handelt es sich dann um veraltete Bilder. Das fällt mir auch bei meinen Freunden auf. Die merken manchmal gar nicht, dass die Aussage, die sie gerade getroffen haben, rassistisch war. Ich sag ihnen das dann eigentlich immer direkt. Die meisten reagieren sehr geschockt. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gerade im persönlichen Rahmen sinnvoll ist, den Menschen zu sagen, dass ihre Äußerungen eben keine Meinung mehr sind, sondern diskriminierend oder rassistisch.
In der Schule begegnet mir eher Diskriminierung als spezieller Rassismus. Ich finde, unsere Schule hat ein Problem mit Homophobie. Und dieses Problem kommt auch sehr offensiv daher. Das habe ich auch schon sehr direkt mitbekommen.
Ich finde es sehr gut, dass wir diesen Tag haben, aber ich denke, damit es etwas bringt, braucht es mehr. Ich habe auch keine schnelle Lösung, aber es muss sich schon noch etwas ändern. Ich war vorher auf einer anderen Schule. Dort war mein Jahrgang schon okay, aber unter den anderen Jahrgängen habe ich manchmal Gespräche mitbekommen, da dachte ich schon: Wow, das ist doch kein Umgang. Ich glaube, das ist ein Problem meiner Generation. Viele Kommentare, die eigentlich wirklich schlimm sind, werden nicht mehr als schlimm wahrgenommen. Und am Ende werden auf krasse Kommentare noch krassere erwidert. Und das wird nicht als so schlimm angesehen. Aber ich finde schon, dass man da definitiv eine Grenze ziehen muss.“
Lara Domke (19 Jahre)
„Im Alltag ist mir Rassismus eigentlich noch nie begegnet. Aber Diskriminierung in der Schule schon! Gerade bei der Cousine/dem Cousin meiner Freundin. Sie ist sich noch nicht sicher, was sie sein möchte und wie sie sich fühlt. Wenn wir mit ihr gemeinsam im Gang standen, kamen schon öfter mal Sprüche von anderen. Zum Beispiel ‚Du Lesbe‘ oder ‚Das ist voll eklig, was du machst‘. Man merkt dann, dass sie das verletzt, aber sie weiß auch, wie sie damit umzugehen hat. Schließlich haben wir die dummen Sprüche dann einfach ignoriert. Ich glaube ein einzelner Tag gegen Rassismus und Diskriminierung ist zu wenig. Das Thema wird einmal im Jahr aufgegriffen und das war es dann. Ich glaube, man müsste öfter über solche Themen sprechen. Eine Toleranz-AG für alle Jahrgänge oder Toleranz als Schulfach fände ich wichtig und richtig“
Maarten Pokorny (18 Jahre)
„Ich wurde hier wegen meines Glaubens diskriminiert. Ich bin Christ und das zeige ich auch. Deshalb bekomme ständig dumme Bemerkungen ab, viele machen sich darüber lustig und lachen über mich. Das habe ich auch bei anderen Gläubigen schon erlebt, zum Beispiel bei Muslimen. Da habe ich schon einige Witze über Mädchen gehört, die ein Kopftuch tragen. Diese Diskriminierung wirkt sich eigentlich nur in verbaler Form aus. Aber auch Wörter können verletzen. Ich glaube, viele Gläubige trauen sich kaum mehr, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen.
Ich bringe meinen Glauben durch meine Lebensweise und mein Verhalten zum Ausdruck. Ich lebe nach den zehn Geboten. Ich versuche, mich da einfach ein bisschen dran zu halten. Ich versuche, mit anderen Leuten nett umzugehen, versuche sie wirklich so zu behandeln, wie meinen Nächsten. Genau so steht es in der Bibel.
Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft wieder religiöser werden muss, damit der Umgang untereinander wieder netter wird. Ich glaube es würde reichen, wenn man mehr darüber nachdenkt, wie man andere behandelt und wie man selbst behandelt werden möchte. Ich glaube, es würde ganz guttun, einfach wieder ein bisschen höflicher und freundlicher zueinander zu sein.“
Rebecca Sawicki, Homophobie ist ein Problem, aus Die Norddeutsche vom 08.11.2019